Privacy-Experte und Buchautor Hans Zeger im Interview
Das Web 2.0 und seine unterschiedlichen Ausprägungsformen wie Social Communitys, Blogs oder Wikis sind mittlerweile aus dem gesellschaftlichen Alltag der Menschen nicht mehr weg zu denken. Allein die zehn größten Online-Netzwerke beheimaten gemeinsam aktuell rund 950 Mio. Mitglieder weltweit. Entsprechend hoch ist auch die Content-Produktion im Internet, die durch den Siegeszug des "Mitmach-Webs" in ungeahnte Höhen getrieben worden ist. Angesichts der rasanten Geschwindigkeit, mit der sich die kommunikativen Möglichkeiten im Web weiterentwickeln, werden Menschen, Gesellschaft und Politik vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Das am 30. März erscheinende Buch "Paralleluniversum Web 2.0: Wie Online-Netzwerke unsere Gesellschaft verändern" liefert Auskunft über Grundlagen, Ziele und Geschäftsmodelle der neuen Internet-Welt. Autor Hans Zeger http://www.zeger.at über Chancen und Risiken des Web-2.0-Phänomens (bei Amazon zu bestellen):
Obwohl der Begriff "Web 2.0" schon seit geraumer Zeit in aller Munde ist, wissen viele Menschen noch immer nicht, was damit gemeint ist. Wie würden Sie dem Durchschnittsnutzer erklären, was unter "Web 2.0" zu verstehen ist? Zeger: Web 2.0 ist die Produktion von Inhalten durch Nutzer für Nutzer. Die Content-Produktion erfolgt dabei auf Plattformen, die den Usern nicht gehören, mit technischen Mitteln, die sie nicht verstehen und in einem rechtlichen und organisatorischen Umfeld, das sie nicht durchschauen.
Manche sehen im Web 2.0 die "letzte, endgültige Revolution der Informationsgesellschaft". Andere können damit überhaupt nichts anfangen. Zu welcher dieser beiden Seiten würden Sie sich eher zählen und warum? Zeger: Web 2.0 ist natürlich einerseits ein Marketingschlagwort, genauso wie "billig" oder "bio". Andererseits bündelt es aber in sehr prägnanter Weise die Grundbedürfnisse der Menschen und deren zeitgemäße Umsetzung. Tagebuchartige Gedanken, politische Meinungen sowie Mio. von Bildern und Videos blieben bisher unbeachtet, da die Menschen keine geeignete Plattform fanden, sich anderen angemessen mitzuteilen. Mit dem Web 2.0 haben die Menschen nun die geeigneten Bühnen, sich und ihre Meinungen darzustellen. Web 2.0 ist keine "endgültige Revolution der Informationsgesellschaft", aber offenbar das typische Medienkonzept des Internets, wie das Feuilleton bei den Zeitungen oder das Hörspiel beim Radio.
Das Web 2.0 hat viele verschiedene Ausprägungsformen. Besonders beliebt sind die Social Communitys, die mittlerweile nicht nur bei der Jugend Anklang finden. Warum sind die Online-Netzwerke heute so enorm gut besucht? Zeger: Online-Communitys stellen eine ideale Bühne zur Selbstdarstellung dar. Zu jedem noch so exotischen Hobby und jeder noch so bizarren Neigung finden sich dort Gleichgesinnte. Der Einzelne erhält so Bestätigung und Sicherheit in einer Gruppe. Damit werden Grundbedürfnisse angesprochen und mit der Web-Technik neu interpretiert. Zählt man die weltweit zehn beliebtesten Online-Netzwerke zusammen, kommt man auf etwa 950 Mio. Teilnehmer. Zählt man alle Communitys zusammen, werden es mehrere Mrd. sein. Bei insgesamt 1,4 Mrd. Internetbenutzern weltweit ist das ein beachtlicher Wert.
Welche Gefahren bringen Community-Portale für die Menschen mit sich? Zeger: Den Community-Mitgliedern droht von drei Seiten Gefahr. Zum einen von den Betreibern selbst, die die preisgegebenen User-Daten zu kommerziellen Zwecken auswerten. Weiters von Außenstehenden, etwa Personalabteilungen, die private Community-Äußerungen zur Bewertung beruflicher Qualifikationen heranziehen und drittens von Zeitgenossen, die im Schutz einer relativen Anonymität andere Personen anprangern, denunzieren und verleumden. Gegen diese "drei Feinde" muss die Gesellschaft die Community-Teilnehmer schützen.
Wie gefährlich ist die Datenspur, die User dort hinterlassen, wirklich? Zeger: Community-Portale werden heute meist mit dem erhobenen Zeigefinger abgehandelt. Die Diskussion erinnert dabei aber eher an die alten Debatten zur Schädlichkeit von Comics, Fernsehen oder Filmen als an eine angemessene Analyse des Web-2.0-Phänomens. Sogenannte "Datenschützer", die vor einer Teilnahme warnen, rufen in Wirklichkeit zur Selbstzensur und Beschränkung der eigenen Meinungsäußerung auf. Das ist nicht hilfreich. Es geht nicht darum Daten zu schützen, sondern die Grundrechte der Menschen zu sichern. Eine aufgeklärte, an Grund- und Freiheitswerten orientierte Gesellschaft muss die Menschen ermutigen, mit neuen Mitteln ihre Meinungen zu äußern und ihr Leben zu gestalten.
Sicherheitsbehörden und Datenschützer warnen Eltern und Kinder unermüdlich vor den Gefahren, die im Web auf sie lauern. Besonders die Communitys sind in diesem Zusammenhang bereits des Öfteren in die Kritik geraten. Was halten Sie von dem zunehmend lauter werdenden Ruf nach einer stärkeren Kontrolle derartiger Plattformen? Zeger: Der Ruf der Sicherheitsbehörden und Datenschützer ist nicht ganz uneigennützig und entspringt einem umfassenden Kontroll- und Überwachungsverständnis. Heute wird über Web-2.0-Plattformen täglich eine unglaubliche Fülle von Inhalten produziert. Diese gigantische Content-Produktion ist unkontrollierbar und macht allen Kontrolleinrichtungen Angst. Der Versuch eine strengere Präventivkontrolle einzuführen, würde uns aber nur eine Art Nordkorea-Netz bescheren. Wir müssen genau entgegengesetzt handeln und die Meinungsfreiheit fördern. Blödsinn zu reden, falsche Meinungen zu haben, Peinlichkeiten über sich selbst zu verbreiten – das alles ist ebenfalls ein Teil der Meinungsfreiheit. Für die Eltern ist es wichtig, sich mit den Communitys ihrer Kinder auseinanderzusetzen. War es früher üblich die Freunde der Kinder kennen zu lernen, um sich ein Bild über sie zu machen, dann hat das heute im Web 2.0 auch weiterhin Geltung.
Was halten Sie von technischen Sperr- und Filterlösungen? Zeger: Nichts. Das ist eine Lieblingsspielwiese chinesischer, nordkoreanischer, britischer, französischer und all jener Politiker, die sich nicht wirklich mit dem Internet auseinandersetzen. Für Personen, die tatsächlich etwas zu verbergen haben und "Böses" im Schilde führen, sind diese Techniken leicht zu umgehen. Überwacht und kontrolliert können bloß jene werden, die im guten Glauben handeln und denen man dann ihre Tätigkeit als "rechtswidrig" oder "unerwünscht" vorhält. Wenn Eltern eine halbe Stunde gemeinsam mit ihren Kindern in einer Community verbringen, liefert das ein besseres Bild über das Gefährdungspotenzial als hunderttausende technische und rechtliche Kontroll- und Überwachungsmittel.
Welche Tipps und Ratschläge würden Sie den Nutzern in Bezug auf Communitys mit auf den Weg geben? Zeger: Zunächst einmal sollte man sich sehr genau ansehen, wer der Betreiber der jeweiligen Plattform ist und sich Einblick in dessen Hintergrund und Motivation verschaffen. Es ist zudem sehr sinnvoll, wenn sich User schon vor der Registrierung über die Praxis erkundigen, der sich das jeweilige Portal in puncto Datenschutz oder der Löschung illegaler Inhalte verschrieben hat. Man sollte genau abwägen, welche persönlichen Informationen besser nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollten. User sollten dabei stets im Auge behalten, dass die Communitys Bühnen sind, in der jeder versucht, sich so darzustellen, wie er es für besonders günstig hält. Direkt gelogen wird zwar selten, aber vieles übertrieben dargestellt. Das ist aber kein neues Problem. Ein Angeber wird ein Angeber bleiben, egal ob im Netz oder im "realen" Leben.
Es gibt bereits einige Theorien zu einem möglichen Nachfolger des Web 2.0. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung? Zeger: Die Zukunft liegt sicher nicht im Web 3.0, Web-Infinity oder Semantic Web. Am ehesten könnte die zukünftige Entwicklung mit dem Begriff "Web der Dinge" umschrieben werden. Immer häufiger interagieren "smarte" Produkte (Kleidungsstücke, Haushaltsgeräte, Navigationssysteme und persönliche Gegenstände wie Brille, Mobiltelefon, Kundenkarten oder Ausweise) direkt miteinander und treffen "Entscheidungen", die der Besitzer nur mehr beschränkt nachvollziehen und kontrollieren kann. In diesem "Web der Dinge" werden wir uns erneut die Frage nach unserem Platz als Gesellschaft mit Ansprüchen auf Grundwerte und Menschenrechte stellen müssen. Vielen Dank für das Gespräch (Quelle: pressetext, Wien, pte/28.03.2009/06:10).
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