Michael Fleischhacker und Peter Krotky im Exklusiv-Interview
Das Internet und andere innovative Medien stellen klassische Zeitungsmacher vor immer neue Herausforderungen. Eine Tageszeitung ohne Online-Auftritt ist heute nur noch schwer vorstellbar und viele traditionelle Medienunternehmen betreiben inzwischen eigene Internetredaktionen. Anlässlich des Relaunches des Online-Angebots der Tageszeitung Die Presse sprach pressetext mit Chefredakteur Michael Fleischhacker und Online-Chef Peter Krotky über die Koexistenz der beiden Medienformen sowie Veränderung bei Arbeitsablauf und Berichterstattung.
pressetext: Welche Rolle spielt heute der Online-Auftritt für eine Tageszeitung?
Fleischhacker: Der Internet-Auftritt ist für ein Printmedium sehr wichtig geworden. Online gehört mittlerweile zur Gesamtmarke für eine Tageszeitung dazu. Vor allem die jüngere Generation kann damit angesprochen werden. Die beiden Medien Print und Internet laufen komplementär und ergänzen einander – das haben uns auch die vergangenen Jahre gezeigt.
pressetext: Was erhoffen Sie sich nun konkret vom Relaunch der Onlineausgabe der Presse?
Krotky: Natürlich erhoffen wir uns eine Steigerung der Nutzerzahlen. Und wir sind bereits erfolgreich unterwegs. Wir haben im vergangenen Jahr schon einen Zuwachs von 34 Prozent bei den Unique Clients verzeichnet. Also vor allem dieser Punkt, die Steigerung der Unique Clients ist mir wichtig und dafür arbeiten wir. Mittlerweile kann man sich bei presse.com auch als registrierter User anmelden, was es vorher nicht gab. Der Relaunch war jetzt an der Zeit – wir waren auch in Hinblick auf die Technologie etwas veraltert. Allein in diesem Punkt gab es nun eine klare Verbesserung. Und nachdem die Printausgabe der Presse neu gestaltet wurde, haben wir jetzt auch den Onlinebereich erneuert.
pressetext: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass der Online-Auftritt Leser aus dem Printbereich abziehen könnte?
Fleischhacker: Nein. So eine Entwicklung beobachten wir nicht und das zeigen auch andere Beispiele. Wie gesagt funktionieren die beiden Produkte komplementär. Die Leser wünschen sich heute auch einfach eine starke Gesamtmarke, die verschiedene Bereiche umfasst und dazu gehört auch der Online-Auftritt. Grundsätzlich denke ich, dass die Gefahr bei elektronischen Medien viel höher ist, weil Fernsehen an sich ebenfalls ein schnelles Medium ist. Beispielsweise beim ORF und orf.on sehe ich eine größere Herausforderung in dem Punkt.
pressetext: Welchen neuen Herausforderungen muss sich ein Printmedium in Zeiten des Internets nun stellen?
Fleischhacker: Wir haben uns bei der Presse schon in den vergangenen Jahren darauf ein- und umgestellt. Natürlich müssen wir anders arbeiten als früher. Ein gutes Beispiel dafür ist die neue Aufmachung der Titelseite der Presse. Hier haben wir uns bewusst dafür entschieden, im Gegensatz zu den anderen Tageszeitungen, nur noch eine Story auf den Titel zu bringen, weil es für viele inzwischen einfach uninteressant geworden ist, Nachrichten zu lesen, die zuvor schon übers Internet konsumiert werden konnten. Das Web ist nun einmal schneller. Auch bei der Aufbereitung und Wahl der Themen haben sich Dinge verändert. Im Print wird es zunehmend mehr Hintergrundinformation geben. Auch um die Qualität der Sprache wird es gehen. Ich glaube sogar, dass sich Tageszeitungen in diesem Punkt fast in Richtung Buch entwickeln. Natürlich nicht literarisch, aber viele Leser werden in Zukunft Qualität und Ausdruck von Sprache in Zeitungen suchen.
pressetext: Welchen Einfluss haben die Web2.0-Entwicklungen auf das Tageszeitungsgeschäft? Werden Journalisten von Bloggern ersetzt?
Krotky: Nein, das denke ich nicht. Natürlich herrscht hier gerade ein irrsinniger Boom, aber die Zahlen spiegeln wider, dass es eigentlich nur wenig ernsthafte Blogger gibt. Die meisten starten einen Blog und kommen schnell dahinter, dass sie eigentlich keine Lust haben hier täglich bzw. regelmäßig etwas zu schreiben. Von den vielen Web-Log-Seiten werden auch nur wenige wirklich intensiv genutzt.
Fleischhacker: Als Printmacher kann ich mir erlauben hier zu sagen, dass zehn Prozent der publizierten Inhalte in Zeitungen Schrott sind und bei den Blogs ist es genau umgekehrt: 90 Prozent sind Schrott. Was ich aber außerdem glaube ist, dass sich die Polarisierung zwischen extremem Boulevard und gutem Qualitätsjournalismus in Zukunft sehr verstärken wird. Gerade mittlere oder regionale Medien werden es sehr schwer haben und ich denke, dass sie sogar ganz verschwinden.
Krotky: Für Journalisten besteht weiterhin die Aufgabe, Informationen zu selektieren, sie aus dieser Masse herauszufiltern und kritisch an den Leser weiterzugeben.
pressetext: Wie sehen Sie den Online-Auftritt des Standard, der bis dato klar die Nase vorn hat?
Krotky: Ich mache mir nicht in erster Linie Gedanken um den Standard, der auf diesem Gebiet Vorreiter war und auch sehr viel in den Internetauftritt investiert hat. Natürlich hat der Online-Standard eine größere Nutzerschaft, aber die kann man auch nicht von einem Tag auf den anderen aufbauen. Zudem ist der Standard traditionell in den jungen, studentischen Schichten lange Zeit stärker genutzt worden und konnte so die Community leichter aufbauen. Der Relaunch von presse.com war jetzt auch nur ein erster Schritt einer Reihe von Maßnahmen im digitalen Bereich, die in Zukunft noch folgen werden.
pressetext: Wie viel Content wird bei der Presse parallel – im Print und im Onlinebereich – genutzt?
Fleischhacker: Etwa zwischen zehn und 20 Prozent der Inhalte aus dem Print werden von der Onlineredaktion übernommen. Aber dabei gibt es keine Zwangsbeglückung, das entscheiden dann die Onlineredakteure, je nachdem, was sie brauchen können.
Krotky: Umgekehrt gibt es natürlich auch Beispiele. Mittlerweile werden Leserbriefe, die online generiert werden, dann auch im Print abgedruckt. Wir haben auch eine Kolumne, die aus dem Onlinebereich stammt und jetzt auch gedruckt wird. Ich denke aber, crossmediales Arbeiten darf kein Dogma sein, nur weil es gerade „in“ ist und alle glauben, sie brauchen es. Wichtig ist, dass es konkret Sinn ergibt. Es geht hier auch um Ressourceneffizienz. Was gemacht wird, muss im Medium eine Auswirkung haben und passen. Oft sind solche crossmedialen Modelle einfach nicht übertragbar auf die Presse bzw. generell die österreichische Medienlandschaft. Wir glauben im Moment, dass wir mit der Zusammenarbeit der beiden getrennten Redaktionen derzeit das beste Modell haben.
pressetext: Was sind Ihre Ziele für das Jahr 2007?
Fleischhacker: Wir haben zwei wirtschaftliche Ziele. Wir haben jetzt das letzte Investitionsjahr von unseren Eigentümern zugestanden bekommen, dürften demnach noch Geld in die Hand nehmen. Unser Ziel ist es aber, das Geld gar nicht mehr zu brauchen. Wir wollen im Printbereich auf ein ausgeglichenes Ergebnis kommen. Und wir würden gerne am Jahresende 90.000 Stück der Presse verkaufen.
Krotky: Bei uns im Onlinebereich ist noch ganz klar ein Investitionsjahr vorgesehen und wir werden auch noch einiges in diesem Jahr tun. Der Relaunch war ein erster Schritt. Unser Ziel ist es klare Erfolge am Usermarkt zu erzielen und das Unternehmen so hinzustellen, dass dann 2008 auch die wirtschaftliche Situation sehr gut ist. Und natürlich wollen wir das in entsprechende Erfolge am Anzeigenmarkt ummünzen.
pressetext: Vielen Dank für das Gespräch (pressetext.austria, Wien, 10.03.2007).