„Klassische Medienhäuser sind zu Web 2.0 verdammt“
Obwohl Web 2.0-Portale in Deutschland derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen und auch durchwegs hohe Nutzerzahlen verzeichnen können, steht weiterhin ein großes Fragezeichen hinter der Wirtschaftlichkeit. Portale wie MyVideo.de, last.fm, studiVZ oder lokalisten.de präsentieren zwar stolz ihre Userzahlen, über den finanziellen Erfolg schweigen sich die Betreiber jedoch aus. „Ich sehe, dass der soziale Community-Gedanke des Web 2.0 und die Kommerzialisierung sich derzeit einander annähern. Es bleibt aber bis zum heutigen Tag dabei: Der sicherste Weg, um mit Web 2.0/Social Software Geld zu verdienen, ist der, darüber zu schreiben und zu referieren“, so Stefan Heng, Analyst bei der Deutschen Bank, gegenüber pressetext.
Last.fm, das nach eigenen Angaben weltweit größte und am schnellsten wachsende Online-Netzwerk zum Thema Musik, hat sein Geschäftsmodell auf drei Säulen aufgebaut. Die Einnahmen werden durch Affiliate-Verkäufe, Abos für Extra-Features und klassische Werbung auf der Homepage erzielt, wie Miriam Rupp, zuständige Pressesprecherin von last.fm, gegenüber pressetext erklärt. Das Portal verzeichnet im deutschsprachigen Raum 1,5 Mio. User, weltweit sogar 15 Millionen. Der größte Markt sind die USA, gefolgt von Großbritannien, Deutschland, Japan, Polen und Brasilien. Ob die 2002 gegründete Webseite jedoch bereits schwarze Zahlen schreibe, will man gegenüber pressetext nicht bestätigen aber auch nicht dementieren.
Ein weiteres Beispiel ist MyVideo.de. Die deutsche „Kopie“ von YouTube wurde im April 2006 gestartet bietet mittlerweile über 500.000 Videos zum Download an. Über sieben Mio. Videos werden laut eigenen Angaben täglich angesehen und täglich kommen rund 7.000 neue Videos hinzu. Bereits 20 Mitarbeiter umfasst das Team von MyVideo. Doch auch hier sind die Informationen über die Wirtschaftlichkeit rar: „Unsere finanziellen Verhältnisse werden nicht kommuniziert“, heißt es gegenüber pressetext.
Im Mai 2005 wurde von fünf Freunden aus München das Portal lokalisten.de gegründet, das ein virtuelles Wohnzimmer anbietet und mittlerweile in fast allen deutschsprachigen Städten aktiv ist. Mehr als 600.000 User sind bereits registriert, zehn Mitarbeiter beschäftigt. Fragt man nach den finanziellen Hintergründen, stößt man aber auch hier auf eine Mauer des Schweigens. Und auch beim „facebook-Klon“ studiVZ, das über 1,9 Mio. aktive Nutzer verzeichnet, gibt man sich bedeckt. Das Studierenden-Netzwerk wurde im Oktober 2005 gegründet und von der Holtzbrinck-Verlagsgruppe laut Spiegel um 85 Mio. Euro übernommen. Martin Weber, Geschäftsführer von Holtzbrinck Ventures, versichert im pressetext-Gespräch lediglich, dass Holtzbrinck nur in nachhaltig tragfähige Geschäftsmodelle investiere.
„Der Netzwerkgütereffekt ist bei den innovativen Portalen stark ausgeprägt und ist mit seiner gravitativen Wirkung ein starkes Argument für große Lösungen. Klassische Medienhäuser sind heute schier dazu verdammt, sich mit dem Nutzermagnet Web 2.0 zu befassen. Aber selbst bei den Mega-Deals zwischen klassischen Medienhäusern und innovativen Internet-Plattformen sollten wir keinesfalls in blinde Euphorie verfallen“, so Heng weiter. „Denn für die innovativen Plattformen mit ihrem deutlichen Hipp-Effekt gilt: Prominenz und Ordnung sind der halbe Tod“, meint Heng abschließend im pressetext-Gespräch (pressetext.deutschland, München, 05.04.2007).